Es gibt wirklich einige Charakteristika bei dieser Europameisterschaft, die wir aus früheren Jahrzehnten nicht kennen: Es kommt zum Beispiel immer mal vor, dass ein zweiter Ball auf dem Spielfeld ist, weil ein Balljunge schläft oder sich mit seinem Smartphone beschäftigt. Dass aber zehn Mal während eines Spiels, wie in der letzten Woche gesehen, ein zweiter Ball auf das Spielfeld fliegt, darf getrost als Rekord fürs Guiness-Buch angemeldet werden. Ebenso das massenhafte Zerreißen der Schweizer Trikots im Spiel gegen Frankreich. Es war ja schon eine oft geäußerte Idee, die Trikots genau so herzustellen, um das Trikotziehen besser erkennen zu können. Zu verbessern wäre noch, dass sich der Fetzen ganz löst und dem Sünder auch an der Hand kleben bleibt, um die Gelbe Karte auch zielgerichtet verteilen zu können. Gestern erhielt jedenfalls kein Franzose Gelb wegen Trikotzerrens, obwohl vier, nach Fußball-Woche-Recherche sogar sieben Trikots an die Forschungsabteilung von Puma geschickt werden müssen.
Eine weitere Besonderheit der EM ist der absurde Zustand des Rasens in einigen Stadien. Das Geläuf sieht teilweise aus wie die Grundlinie in Wimbledon am Ende des 14-tägigen Turniers nach wochenlanger Trockenheit. Vielleicht handelte es sich beim ausgelegten Rasen um die Sorte „Savanne-Outback“, mit der Namibia- oder Australienfreunde im heimischen Kleingarten die Illusion verbrannter Erde am Ende der Trockenzeit simulieren wollen. Zum Glück laufen keine Giraffen und Zebras in den Stadien herum!
Rein fußballerisch ist die Häufung der spät erzielten Tore auffällig. Schade einerseits, aus Sicht der Underdogs, dass ihre aufopferungsvolle Verteidigungsarbeit nicht belohnt wird (u.a. Rumänien gegen Frankreich, Wales gegen England, Tschechien gegen Spanien), schön andererseits, dass die Gerechtigkeit im Fußball eben doch, wenn auch selten, siegt.
Extrem unschön ist das in jedem Spiel mehrfach beobachtete treten auf den Spann des Gegners, das nur in Ausnahmefällen die zwingend gebotene Gelbe Karte nach sich zog. Entweder handelt es sich um eine neue Unart, den Gegner zu demoralisieren, oder es ist durch die Schnelligkeit und das enge Pressing in Hochgeschwindigkeit zu erklären, dass diese Foulart Hochkonjunktur hat. Eine andere Erklärung wäre die früher in dieser Form nicht so häufig eingesetzte Superzeitlupe, die uns jetzt zeigt, was es schon immer gab, wir aber als dumme Fernsehzuschauer oder Stadionbesucher nur nicht gesehen haben.
Auch zu Beginn des dritten Spieltages sieht es nicht nach einer großen Überraschungs-EM aus: England, Spanien, Italien, Kroatien, Frankreich heißen die Favoriten, eventuell Deutschland, das man ja angeblich immer so lange auf der Rechnung haben muss, bis der Mannschaftsbus das Stadion verlassen hat. Aber, trotz alledem: Island und Ungarn dürfen nicht vergessen werden…