Der erste Neuzugang der Saison bei Hertha ist gleich ein Hochkaräter: Davie Selke verstärkt endlich (wieder) den Angriff der Blauweißen. Ob mit der Bekanntgabe dieser Tatsache große virtuelle Begeisterungsstürme auf der morgen stattfindenden Mitgliederversammlung bei Hertha ausgelöst werden können, erscheint zweifelhaft. Statt einer festgeschriebenen Ablösesumme in zweistelliger Millionenhöhe (die das ganze Trauerspiel Werder Bremens wie mit grellem Scheinwerfer angestrahlt verdeutlicht) erhält man jetzt ungewollt die Manpower zurück, die sich voraussichtlich aber hinter Cordoba und Piatek erst mal in der dritten Reihe anstellen muss.
Dabei ist die Karriere des mittlerweile 25jährigen gar nicht so erfolglos gewesen: Mit 193 Spielen in der 1. (Werder Bremen, Hertha BSC und wieder Werder) und 2. Bundesliga (RB Leipzig) und 40 Toren, U19 Europameister 2014 (bester Torschütze und bester Spieler), U 21 Europameister 2017, Silbermedaillengewinner 2016 in Rio hat er Meriten erworben, die nicht jeder vorweisen kann.
Aber die drei Tore, die Selke in den letzten eineinhalb Jahren als Leihspieler bei Bremen erzielte, lassen nicht erwarten, dass eine Leistungsexplosion kurzfristig bevorsteht. Auch wenn Demnächst-Ex-Bundestrainer Löw und Noch-Experte Lothar Matthäus einen potenziellen Nationalspieler in Selke sahen (Löw: „12 Saisontore-Spieler“), hat er, der seit seiner Lungenverletzung in der Saisonvorbereitung 2018/19 nie mehr zu guter Form fand, noch kein A-Länderspiel gemacht. Laut wikipedia wäre er deshalb auch für die Mannschaft Tschechiens spielberechtigt, aber Spieler, die keine Tore schießen, hat Tschechien wahrscheinlich selber genug. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, Selke an den Nachbarn Union weiterzuschieben. Die Unioner verstehen sich ja recht gut darauf, mittelmäßige Spieler besser zu machen und ins Profil der Köpenicker, die einen guten Kopfballspieler dringend gebrauchen können, passt Selke hervorragend hinein. Aber eventuell kann Pal Dardai, wenn er denn Trainer bei Hertha bleiben sollte, auch wieder das Potenzial aus Selke herauskitzeln, wie es ihm schon vor Jahren gelungen ist.
Wer fehlt noch im Kader? Neben Klünter, Pekarik und Zeefuik ein flankenfähiger Rechtsverteidiger, genau wie auf der anderen Seite neben Mittelstädt und Plattenhardt einer für die linke Seite. In der Innenverteidigung, dem defensiven Mittelfeld und der Sturmspitze besteht eher ein Überangebot.
Aber eine Position, die bei Hertha seit Marcelinhos Zeiten nur unzureichend besetzt ist, nämlich die des „Spielgestalters“, die auch Cunha nur unzureichend ausfüllt, sollte dringend mit Leben erfüllt werden. Wenn dies jemand wäre, der auch die Hierarchielücke, die Sami Khedira jetzt wieder hinterlässt, schließen könnte, wären zwei Fliegen auf einen Streich erledigt. Ein Kevin-Prince Boateng wollte ja mal am Ende seiner Karriere zu Hertha zurück, aber sein Ego scheint nicht bezähmbar. Und einen Toni Kroos wird man sich trotz aller Windhorst-Millionen nicht leisten (wollen).
Also bleibt nur das Hoffen in Fredi Bobics seherische Fähigkeiten und sein gutes Netzwerk, mit dem er einen perfekt passenden Spieler aus dem Transferpool fischt.
Es fehlt neben ein bisschen Glück (laut Pal Dardai macht das immerhin 30 Prozent beim Fußball aus!) nicht viel, um Hertha in der nächsten Saison ziemlich weit oben mitspielen zu lassen.