Zum zehnten Mal gibt es das Fußball-Filmfestival in Berlin. Zur Eröffnungsveranstaltung im Kino Babylon in Mitte kann man den einen oder anderen Bekannten aus der Gemeinde „50 Jahre Bundesliga“ von nahem sehen und hören. Moderiert wird vom gut aufgelegten Heribert Faßbender, der uns zu Beginn recht ausführlich erklärt, wie es zu seinem berühmt-berüchtigten Eröffnungs-Akt „Nabend allerseits“ gekommen ist. Als Beweis wird ein uralter Mitschnitt einer Sportschau gezeigt, in der der noch nicht ergraute Heribert folgerichtig „Guten Abend, meine Damen und Herren“ sagt. Soviel zum Thema Geschichtsklitterung, zu der am Ende des Abends Rudi Gutendorf, vermutlich einziger noch lebender Trainer der ersten Bundesliga-Saison, sein Teil in einer Art und Weise beitragen wird, die dem ZK der KPdSU alle Ehre gemacht hätte.
Walter Eschweiler gibt alkoholgeschwängerte Anekdoten aus Hotelbars und über Botschaftsempfänge zum Besten und erzählt zum hundertsten Mal von seinem Zusammenstoß mit anschließender unvollendeter Rolle Rückwärts im 82-er WM-Spiel Italien-Peru. Neu ist nur, dass eine Tierärztin die Erstversorgung übernahm und sich Hans-Dietrich Genscher in der Halbzeitpause nach dem werten Befinden erkundigte. Michael Preetz, dem Lokalpatriotismus geschuldet, spricht als Torschützenkönig und ehemaliger Spieler von Wattenscheid 09, was, laut Faßbender, nur die wenigsten wissen. Der Verfasser dieser Zeilen weiß noch viel mehr, nämlich dass Preetz im letzten Saisonspiel 1995/96 für Wattenscheid, schon von Hertha verpflichtet, aus drei Metern neben das leere Tor schoss, ansonsten hätte Hertha sehr viel mit dem Abstieg (ein Jahr später erfolgte der Aufstieg) zu tun gehabt…
Nach dem Besten aus der ARD-Historien-Serie zur 50. Bundesliga-Saison spricht Faßbender mit Axel Kruse, Olaf Thon, Klaus Fischer und „Otto“ Kleff, die uns klar machen, dass früher alles besser, kameradschaftlicher (Eschweiler zu Hölzenbein nach dessen Schwalbe: “Dat müssn wir aber noch ein bisschen üben…“) und Bestechlichkeit und Meineide eigentlich lässliche Jugendsünden waren. Kleff muss man das Mikrofon schon fast mit körperlicher Gewalt entwinden, weil er gar nicht mehr aufhört, alte Schrullen von der Feindschaft Weisweiler-Netzer zum Besten zu geben.
Unerwarteter Höhepunkt des Abends wird aber das Gespräch mit Rudi Gutendorf, mittlerweile 85 Jahre alt und etwas langsamer als früher, aber immer noch für die eine oder andere Überraschung gut. Wer hätte schon gewusst, dass er mit Salvador Allende in dessen Privatwohnung Whiskey getrunken hat, sicherlich schottischen und keinen vom US-Amerikanischen Klassenfeind. Nach dem Putsch hat der Botschafter einen Platz für Rudi in der letzten Lufthansa-Maschine, die Chile verließ, gebucht. So wurde Gutendorf durch die weltpolitischen Ereignisse um die WM-Teilnahme 1974 als chilenischen Trainer und das Spiel gegen Deutschland in Berlin gebracht, das Deutschland aber nicht, wie sich Gutendorf falsch erinnerte 2:0 durch Overath-Tore, sondern 1:0 durch ein Breitner-Tor gewann.
Den modernen Pressing-Fußball scheint auch Gutendorf erfunden zu haben, wenn man der Geschichte glauben darf, dass sich Uwe Seeler nach dem Spiel in Meiderich beklagte, dass er gar keine Zeit zur Ballannahme gehabt hätte, weil immer sofort zwei Meidericher Spieler auf seinen Füßen standen. Dass Seeler selber durch ein unkluges öffentliches „Wo liegt eigentlich Meiderich?“ für gewisse Motivationsschübe beim Gegner sorgte und so ein 4:0 für Meiderich ermöglichte, soll nicht unerwähnt bleiben, ebenso wie die Tatsache, dass die Hamburger Spieler nach dem Spiel laut Gutendorf heulend in der Kabine saßen. Gutendorf führte Meiderich zur Vize-Meisterschaft der ersten Bundesliga-Saison und der HSV wurde nur sechster.
Faßbender glänzt durch Detailkenntnisse („Meiderichs stürmende Verteidiger Sabbath und Heidemann…“) und man fragt sich nur, warum Gutendorf durchschnittlich weniger als ein Jahr pro Verein/Land verbrachte (56 Trainerstationen in 50 Jahren), wenn er der erfolgreiche, innovative Trainer war, als den er sich und Heribert Faßbender ihn sieht.
Als Abschlussbonbon erzählte Gutendorf noch von seinem Ruanda-Engagement, wo er es war, der Tutsi und Hutu nach dem Bürgerkriegs-Massaker miteinander versöhnte, indem er in der Nationalmannschaft jeweils 9 Spieler von jeder Ethnie in den Kader berief. Dass sie allerdings die Elfenbeinküste nicht geschlagen hatten, wie Gutendorf zweimal stolz erwähnte, sondern das Spiel nur 2:2 ausging (immerhin!) erfuhr die versammelte Gemeinde durch den Zwischenruf eines ARD-Mitarbeiters, der einen Film über die Geschehnisse angefertigt hatte…
Ein runder Abend für die jung gebliebene Fußballergeneration zwischen 40 und 60, genau im Trend der Überalterung der Gesellschaft liegend. Mal sehen, was die Filme des Festivals bringen werden…